Sonntag, 28. September 2014

Ein Interview mit der Jungfrau Maria (I)

Für diejenigen, die das denkwürdige Interview verpaßt haben, habe ich hier den Wortlaut der Sendung von heute mittag verschriftlicht. 1

P. Edmer: Laudetur Jesus Christus! Hier ist Radio Vatikan. Herzlich willkommen zu dieser Sondersendung heißt Sie P. Dr. Edmer von Kantelberg. Wir freuen uns, Ihnen heute etwas ganz Besonderes präsentieren zu können: Erstmals in der Geschichte des Rundfunks, ja des gesamten Journalismus hat die allzeit jungfräuliche Gottesmutter Maria einem Interview zugestimmt, von dem Sie gleich den ersten Teil hören können. Das Gespräch fand in einem Dorf in der Herzegowina statt, wo man gegen einen gewissen Obolus auch ohne Termin… Ha, ha! Nein, gucken Sie nicht so, Pater Hagenkord, das war natürlich ein Scherz! Nein, das Gespräch fand in der Zelle meines verehrten Lehrers P. Dr. Anselm von Beck OSB statt, und zwar schon vor einiger Zeit. Es dreht sich vor allem um das Geheimnis des Leidens und Sterbens unseres Herrn.

P. Anselm hatte die glorreiche Jungfrau lange mit Fasten, Tränen und Gebeten angefleht, ihm zu enthüllen, auf welche Weise ihr Sohn gelitten habe. Schließlich erschien ihm die selige Jungfrau und gewährte ihm die Ehre des Gesprächs mit den Worten:

O-Ton Maria: Mein geliebter Sohn hat so viel und so sehr gelitten, daß es niemand ohne Tränenvergießen aussprechen kann. Dennoch, weil ich ja verherrlicht bin, kann ich nicht weinen; deshalb will ich Ihnen das Leiden meines Sohnes der Reihe nach darlegen.

P. Edmer: Und so fragte P. Anselm nach den Einzelheiten, und die heilige Maria gab ihm detailliert Antwort. Hören Sie nun den ersten Teil der Aufzeichnung des Interviews von P. Anselm von Beck mit der Jungfrau Maria vom Sonntag Laetare dieses Jahres!



P. Anselm: Sagen Sie, liebste Frau, wie begann das Leiden Ihres Sohnes?

Maria: Als mein Sohn nach dem Mahl mit seinen Jüngern aufstand, begab sich Judas Ischariot zu den Hohenpriestern und verriet meinen Sohn; er hat ihn für dreißig Schekel verkauft.

Was waren das für Schekel?

Die ismaelitischen, um die schon Josef viertausend Jahre zuvor verkauft worden war; sie waren durch Erbfolge bis zu denjenigen Juden hinabgerollt, die meinen Sohn gekauft haben, und jeder Schekel war dreimal soviel wert wie ein gewöhnlicher. Judas war also so habgierig, daß er, als er die Schekel erblickte, Christus für sie verkaufte, was ihm Christus natürlich öfters vorhergesagt hatte, wodurch Judas sich aber nicht gebessert hatte.

Waren Sie damals auch bei Ihrem Sohn und seinen Jüngern?

Nein. Aber Sie wissen ja, daß mein Sohn, nachdem er gegessen, den Jüngern die Füße gewaschen, seinen Leib und Blut den Jüngern gegeben und liebreich gepredigt hatte, und nachdem Judas zu den Priestern gegangen war, daß er da mit seinen Jüngern vom Berg Zion zum Tor hinaus nach dem Teich Schiloach ging, wo es einen Garten gab, den er betrat; und während seine Jünger schliefen, stieg er zum Fuße des Ölberges hinauf – etwa einen Steinwurf von den Jüngern – und bat seinen Vater mit diesen Worten: „Erhöre mich, Herr, in deiner Huld und Güte, wende dich mir zu in deinem großen Erbarmen! Verbirg nicht dein Gesicht vor deinem Knecht; denn mir ist angst. Erhöre mich bald! Sei mir nah und erlöse mich! Befrei mich meinen Feinden zum Trotz!“

Warum betete er so?

Aus drei Gründen: erstens, weil er zart erzogen war – denn er war ja als Sohn einer Jungfrau und in ein königliches Geschlecht geboren –; weil es Menschen von Adel mehr wehtut, wenn sie verletzt werden, als gewöhnlichen Leuten. Zweitens, weil eine so große Angst über ihn kam, daß er am ganzen Körper Blutstropfen schwitzte; und weil er ja Gott war, wußte er alles, was er erleiden sollte, schon im voraus, also das Bespucktwerden, die Lästerungen, das Auspeitschen, die Kreuzigung und so. Ein Dieb weiß ja auch, daß er sterben muß, aber er weiß nicht, wie sich der Tod anfühlt, bevor sich ihm nicht der Strick um den Hals strafft; aber mein Sohn – als Gottmensch – sah das alles vorher. Drittens, weil er vorhersah, daß die Juden sich seiner nicht erbarmen durften. Und als er betete: „Mein Vater, wenn es möglich ist, gehe dieser Kelch an mir vorüber. Aber nicht wie ich will, sondern wie du willst“, da erschien ihm der Engel des Herrn und sprach ihm Mut zu: „Sei stark, Herr: Bald erlösest du das Menschengeschlecht!“

Danach kehrte mein Sohn zu den Jüngern zurück, fand sie schlafend vor und sagte ihnen: „Konntet ihr nicht einmal eine Stunde mit mir wachen?“ und fügte hinzu: „Seht, der Verräter, der mich ausgeliefert hat, ist da.“ Und tatsächlich kam da Judas mit einer großen Schar und sagte zu den Juden: „Zwei sind sich sehr ähnlich, nämlich Jakobus und Jesus; darum gebe ich euch ein Zeichen: Der, den ich küssen werde, der ist es; nehmt ihn fest.“ Und als sich Judas mit seiner Schar näherte, da trat Jesus zu ihnen vor und fragte: „Wen sucht ihr?“ Sie antworteten: „Jesus von Nazaret“; darauf Jesus: „Ich bin es.“ Und als er gesagt hatte: „Ich bin es“, da stürzten sie alle zurück. Noch einmal sprach Jesus: „Wenn ihr mich sucht, dann laßt diese gehen!“ damit die Schrift erfüllt würde: „Ich habe keinen von denen verloren, die du mir gegeben hast.“ Dann ging Judas auf ihn zu und küßte ihn; Jesus sagte zu ihm: „Judas, mit einem Kuß verrätst du den Menschensohn?“ Da gingen sie auf Jesus zu, ergriffen ihn und nahmen ihn fest. Dann zog Petrus sein Schwert und schlug den Knecht des Hohenpriesters, der Malchus hieß.

Geschah da ein Wunder?

Mein Sohn wandte sich zu dem Diener und heilte dessen Ohr und sagte zu Petrus: „Steck dein Schwert in die Scheide; denn alle, die zum Schwert greifen, werden durch das Schwert umkommen. Oder glaubst du nicht, mein Vater würde mir sogleich mehr als zwölf Legionen Engel schicken, wenn ich ihn darum bitte?“ Dann flohen alle Jünger, und er blieb zurück.

Sagen Sie, frömmste Frau, waren Sie da bei ihm?

Nein.

Warum nicht, wenn Sie ihn doch so lieben?

Die Nacht begann hereinzubrechen, und es wäre unstatthaft gewesen, sich um diese Zeit noch als junges Mädchen auf der Straße zu zeigen.

Wo waren Sie also, Süßeste?

Ich war im Haus meiner Schwester, der Mutter des Evangelisten Johannes.

Und wie – oder besser: wer berichtete Ihnen, was vorgefallen war?

Pater Anselm, Sie hören jetzt etwas, das sehr beklagenswert ist: Seine Jünger kamen gelaufen und riefen unter Tränen: „Ach, liebste Frau! Dein geliebter Sohn, unser Meister, ist verhaftet worden, und wir wissen nicht, wohin er gebracht wird, ob er schon eingekerkert ist oder was mit ihm geschehen wird, oder ob er schon umgebracht ist.“

Weinten Sie da, gnädige Frau?

Ich wußte natürlich, daß er das Menschengeschlecht erlösen würde; dennoch: aus einer gewissen mütterlichen Herzensregung durchfuhr das Schmerzensschwert, das Simeon vorhergesagt hatte, meine Seele.



P. Edmer: Verehrte Zuhörer, Sie hörten soeben den ersten Teil eines Interviews von P. Dr. Anselm von Beck mit der heiligen Jungfrau Maria über das Leiden und Sterben ihres Sohnes Jesus Christus. Diese Sendung können Sie über unseren Podcast im Internet nachhören. Morgen um dieselbe Zeit senden wir den zweiten Teil des Gespräches! Ich wünsche Ihnen einen gesegneten Sonntag. Laudetur Jesus Christus!


1) Die Vorlage dieses fiktiven Interviews ist ein Dialog vom Anfang des XII. Jahrhunderts, der in der Handschriftentradition dem hl. Anselm von Canterbury zugeschrieben wird, mit behutsamem aggiornamento von mir übersetzt. Der Text stammt wohl eher von einem seiner Schüler, womöglich seinem Nachfolger Eadmer, und faßt einige Lehren Anselms zur Mariologie und zum Leiden und Sterben Christi in einer unterhaltsamen Form zusammen. Es handelt sich meiner Kenntnis nach um den ersten Dialog in einer journalistisch zu nennenden Form – quasi in Antizipation des Interviews als Gattung. Die Vorlage findet sich unter den Spuria des Anselm in Migne PL 159,271–90.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen