Montag, 29. September 2014

Ein Interview mit der Jungfrau Maria (II)

Hier der Text des zweiten Teils des Interviews, heute gesendet im deutschen Programm von Radio Vatikan.

P. Edmer: Laudetur Jesus Christus! Hier ist Radio Vatikan. Am Mikrophon begrüßt Sie P. Dr. Edmer von Kantelberg. Gestern hörten Sie bei uns den ersten Teil eines Interviews über das Leiden und Sterben Christi, das P. Dr. Anselm von Beck mit der Gottesgebärerin geführt hat. Diese Sendung finden Sie in unserem Podcast. Hören Sie nun den zweiten Teil!


P. Anselm: Wohin war Ihr geliebter Sohn damals gebracht worden?

Maria: Von dem genannten Garten durch das Tal Joschafat und das Goldene Tor, und dann hatte man ihn in den Palast der Schriftgelehrten, Priester und Pharisäer in der Nähe des Tempels, ins Haus des Hannas, und Hannas befragte ihn über seine Lehre und seine Jünger. Er antwortete aber: „Ich habe offen vor aller Welt gesprochen. Ich habe immer in der Synagoge und im Tempel gelehrt, wo alle Juden zusammenkommen. Nichts habe ich im geheimen gesprochen. Warum fragst du mich? Frag doch die, die mich gehört haben, was ich zu ihnen gesagt habe; sie wissen, was ich geredet habe.“ Auf diese Antwort hin schlug einer von den Knechten, der dabeistand, ihm mit ungekannter Grausamkeit ins Gesicht und sagte: „Redest du so mit dem Hohenpriester?“ Und mein Sohn, das sanftmütige Lamm, antwortete ihm: „Wenn es nicht recht war, was ich gesagt habe, dann weise es nach; wenn es aber recht war, warum schlägst du mich?“ Dann verbanden sie ihm die Augen wie einem Dieb – das macht man mit niemandem, der nicht vorher verurteilt worden ist. Und sie mißhandelten ihn die ganze Nacht, spieen ihm ins Gesicht, schlugen ihn und sagten dabei: „Weissage uns: Wer hat dich geschlagen?“ Währenddessen sprach drinnen Johannes vor, der beim Priester bekannt war, und brachte Petrus mit. Als den die Pförtnerin sah, sagte sie: „Bist du nicht auch einer von den Jüngern dieses Menschen?“ Aber Petrus stritt es dreimal ab und schwor, daß er ihn niemals gesehen noch ihn gekannt habe. Und plötzlich krähte der Hahn, da wandte sich Jesus um und blickte Petrus an. Und Petrus erinnerte sich an das, was der Herr zu ihm gesagt hatte: „Ehe heute der Hahn kräht, wirst du mich dreimal verleugnen.“ Und Petrus ging hinaus und weinte bitterlich.

Wo waren Sie, liebste Frau, als das geschah?

Als die Jünger mir berichtet hatten, was vorgefallen war, begannen mir augenblicklich alle Knochen zu zittern, und ich erhob mich und rannte mit Maria aus Magdala zum Tempel. Ich hörte den Aufruhr im Haus des Hannas und wollte hinein, aber man gestattete es mir nicht. Daher blieb ich auf der Straße stehen, klagte und rief: „O weh! Mein geliebter Sohn, du mein Augenlicht, wer soll meinem Haupt Wasser geben und meinen Augen einen Tränenquell, damit ich die Ermordung meines Sohnes beweinen kann?“ Maria aus Magdala aber ging überall um das Haus herum, und als sie zu den Fenstern hineinblickte und die Verleugnung des Petrus hörte, da gerieten all ihre Eingeweide in Bewegung über die Verlassenheit meines einzigen Sohnes, da selbst der Erste unter den Jüngern ihn verleugnet hatte. Sie sagte: „Ach, mein guter Jesu, welch ein Ende ist dir bestimmt, und was soll aus dir werden, da der Erste unter deinen Jüngern dich verleugnet hat! Mein süßer Jesu, ich will dich in Ewigkeit nicht verleugnen!“ Ich aber stand voll Schmerz und hörte alle Mißhandlungen und Beschimpfungen, die sie meinem geliebten Sohn zufügten, und wie Petrus ihn verleugnete und alles, was dort während der ganzen Nacht geschah. Und als Petrus zum drittenmal abstritt, wandte sich mein Sohn zu ihm um und blickte ihn an, und er weinte bitterlich, weil er ihn verleugnet hatte. Als er heraus auf die Straße trat, sah er uns draußen stehen, und ich sagte zu ihm, von Herzschmerz tiefinnerlich gerührt: „Petrus, Petrus, was treiben sie mit Jesus?“ und: „Wo ist Jesus?“ Der schrie und heulte und antwortete mit Tränenstimme: „Ach, liebste Frau, sie springen erbarmungslos mit ihm um und foltern ihn zu Tode!“ rannte weg, versteckte sich vor Angst in dem sogenannten Hahnenschreistein und zeigte sich nicht wieder, bis Jesus am Kreuz gestorben war.

Sagen Sie mir, liebste Frau, was taten Sie, als Sie das hörten?

Das Schwert Simeons durchfuhr meine Seele.

Sagen Sie mir, was danach geschah!

Als es Morgen geworden war, brachten sie ihn aus dem Haus des Hannas und führten ihn vor den Hohenpriester Kajaphas. Da sah ich ihn zum erstenmal seit seiner Verhaftung. Ich rannte herzu wie eine Löwin, der die Jungen geraubt sind, und erblickte sein Gesicht, unvergeßlich, vom Speichel der Juden befleckt. Unter Tränen sagte ich: „Ach! Mein geliebtester Sohn! Wie erbarmungswürdig muß ich dich sehen, die ich mich so oft an deinem so süßen Anblick erfreuen durfte!“ Ich wollte ihn umarmen, aber man gestattete mir nicht, zu ihm zu treten, sondern die Juden stießen mich hierhin und dahin und schafften mich schließlich schmählich davon. Von überall her liefen die Leute zusammen, wie wenn man Diebe und Räuber verurteilt.

Hatten Sie irgendeine Hoffnung, daß er befreit werden könnte?


Ja, schon; ich wußte ja, daß er geistreich und redegewandt war, und ich hoffte, daß er sich rechtfertigen würde, wenn er vor Gericht käme. Dann stand er da wie das sanftmütigste Lamm und machte den Mund nicht auf! Aber auch so war er liebenswert, so daß sie sich seiner doch erbarmen mußten. – Nur wenig später wurde er so sehr bespuckt, daß er wie ein Aussätziger aussah; sie erfanden nämlich viele falsche Aussagen gegen ihn und sagten, er sei ein Gesetzesbrecher und Volksverhetzer. Schließlich kamen zwei falsche Zeugen und behaupteten: „Er hat gesagt: ‚Ich kann den Tempel Gottes niederreißen und in drei Tagen wieder aufbauen.‘“ Kajaphas sagte: „Sag uns, bist du der Messias?“ Jesus antwortete: „Auch wenn ich es euch sage – ihr glaubt mir ja doch nicht; und wenn ich euch etwas frage, antwortet ihr nicht und laßt mich nicht frei. Amen, ich sage euch: von nun an werdet ihr den Menschensohn zur Rechten der Macht sitzen und auf den Wolken des Himmels kommen sehen.“ Da zerriß der Hohepriester sein Gewand und rief: „Wozu brauchen wir noch Zeugen? Jetzt habt ihr die Gotteslästerung selbst gehört. Was ist eure Meinung?“ Da schrieen sie alle: „Er ist schuldig und muß sterben!“ Als diese Ansicht vorgebracht wurde, durchfuhr das Schwert Simeons meine Seele.

Wohin wurde er dann geführt?

Zum Richter Pilatus.

Erhofften Sie sich dort etwas, liebste Frau?

Ich hatte sehr gehofft – da ja die Menge zusammengekommen war, der er oft lieblich gepredigt hatte; diejenigen, deren Kranke er geheilt hatte, und er hatte sie ja in der Wüste gespeist –, daß sie ihn aus der Hand der Juden befreien müßten. Da schrieen sie einmütig vor Pilatus: „Kreuzige ihn, kreuzige ihn!“ Und sie warfen ihm vor, daß er sich den Sohn Gottes genannt hatte und verboten hätte, dem Kaiser Steuern zu bezahlen. Dann fragte Pilatus nach seinem Königtum und sagte: „Bist du der König der Juden?“ Jesus antwortete: „Sagst du das von dir aus, oder haben es dir andere über mich gesagt?“ Pilatus entgegnete: „Bin ich denn ein Jude? Dein eigenes Volk und deine Hohenpriester haben dich an mich ausgeliefert. Was hast du getan?“ Jesus antwortete: „Mein Königtum ist nicht von dieser Welt. Wenn es von dieser Welt wäre, würden meine Leute kämpfen, damit ich den Juden nicht ausgeliefert würde.“ Darauf sagte Pilatus: „Also bist du doch ein König?“ Jesus antwortete: „Du sagst es, ich bin ein König. Ich bin dazu geboren und dazu in die Welt gekommen, daß ich für die Wahrheit Zeugnis ablege. Jeder, der aus der Wahrheit ist, hört auf meine Stimme.“ Pilatus sagte zu ihm: „Was ist Wahrheit?“ Dieses Problem löste Christus nicht für ihn auf, denn wenn er es gelöst hätte, hätte er ihn auf jeden Fall freigelassen, und dann wäre das Menschengeschlecht unerlöst geblieben. Als nun Judas sah, daß er zum Tod verurteilt war, brachte er den Hohenpriestern und den Ältesten aus Reue die dreißig Silberschekel zurück und sagte: „Ich habe gesündigt, ich habe euch einen unschuldiges Blut ausgeliefert.“ Und sie sagten: „Was geht das uns an? Da sieh du zu!“ Da warf er die Silberstücke in den Tempel, zog sich von ihnen zurück, ging hin und erhängte sich mit einem Strick. Pilatus rief daraufhin die Hohenpriester, die Beamten und das Volk zusammen und sagte zu ihnen: „Ich finde keine todeswürdige Schuld bei diesem Menschen, bei allem, weswegen ihr ihn anklagt.“ Sie traten noch fester auf und sagten: „Er hat das Volk verhetzt im gesamten jüdischen Land, von Galiläa bis hierher.“



P. Edmer: Sie hörten den zweiten Teil eines Interviews von P. Dr. Anselm von Beck mit der heiligen Jungfrau Maria über das Leiden und Sterben ihres Sohnes. Die ganze Serie können Sie im Internet nachhören. Morgen folgt in unserem Programm der dritte Teil des Gespräches. Es verabschiedet sich P. Edmer von Kantelberg. Laudetur Jesus Christus!

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